Kurzgeschichte Teil 2: “Dorfladen für Tüwkow?”
Folge Zwei
Die Leute in Tüwkow in Mecklenburg, vor allem die alten Leute, sind auf den Brotwagen angewiesen. Der fahrende Supermarkt kommt Dienstags und Freitags mit allem, was sie brauchen. Doch jetzt hat er angekündigt, im nächsten Sommer den Betrieb einzustellen. Dann ist das Dorf endgültig von der Versorgung abgeschnitten. Mike will das nicht hinnehmen.
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Ich bin Mike und ich hatte einige Nächte schlecht geschlafen. Als hätte ich gewusst, was da auf mich wartet.
Die Ankündigung des Brotwagens, ab Sommer nicht mehr zu kommen, war nicht nur für meine Eltern drei Häuser weiter und die anderen alten Leute in Tüwkow eine sehr schlechte Nachricht, sie betraf auch die Lebensplanung der jüngeren Leute. Es hatte wohl niemand damit gerechnet, welche Bedeutung diese beiden kurzen Besuche, Bernig Senior mit seinem fahrenden Supermarkt hielt ja nur für eine halbe Stunde im Ort, zweimal pro Woche, vorne neben der Linde, für das Leben im Ort wirklich hatten. Von weitem gesehen waren das ein paar harmlose halbe Stunden, Klappe auf, etwas Small-Talk, etwas Umsatz, Klappe zu, aber sie gaben Tüwkow einen Rhythmus und eine Art soziales Korsett.
Ich bin nicht so gut mit Worten.
Dann saß ich nach einer schlechten Nacht vor meinem Kaffee und hielt mich für bescheuert. „Warum sollte das nicht gehen, warum eigentlich nicht?“ Je länger ich an den leer stehenden Konsum in der Dorfmitte dachte, desto deutlicher wurde das Bild vor meinen Augen. Wir bräuchten doch nur etwas frische Farbe, ein paar Meter Regalfläche und eine neue Kühltruhe. Oder zwei.
Das war so ein ‚was wäre, wenn‘-Moment und die Vorstellung, dass in dem alten Konsum wieder Licht brennt, dass Leute mit vollen Einkaufskörben herauskommen, noch einen Augenblick beieinander stehen bleiben und sich unterhalten, dass der alte Dackel von Frau Engelke in der Sonne dösend darauf wartet, dass sein Frauchen wieder herauskommt und dass ihm zu warm wird, weil sie sich drinnen wieder verquatscht hat, das ließ mich nicht mehr los. Bei der Fahrt zur Arbeit war ich fast überrascht, den Laden dunkel zu sehen. Und ich hatte den Eindruck, er warte auf etwas.
In meinen Pausen habe ich dann angefangen zu telefonieren und am gleichen Abend haben wir uns bei mir getroffen. Jan hatte einen halben Kasten Bier dabei, Petra brachte Kartoffelsalat und Franzi spendierte den ersten Stollen des Jahres. Es war ein guter Start in einen Freitagabend, der uns lange beschäftigte.
Am nächsten Morgen hatte ich einen dicken Kopf und mein Küchentisch war unter den vielen Zetteln nicht zu sehen. Sogar an den Oberschränken klebten gelbe Haftzettel, die Petra aus dem Büro mitgebracht hatte. Der Zettel ‚barrierefrei‘ fiel genau in meine halb volle Kaffeetasse.
Ich brauchte mehrere Anläufe, um Ordnung in diese Zettel zu bringen. Keiner von uns kannte sich mit dieser Art von Arbeit aus, wir waren begeisterte Amateure. Jan war bei der Feuerwehr, Petra arbeitete im Nachbarort im Kindergarten und Franzi war Hausfrau und leitete den Turnverein, TSV Tüwkow. Das sollte noch wichtig werden.
‚Dorfladen’ stand groß auf einem A4-Zettel, damit hatten wir angefangen. Dann waren uns rasch die großen Blätter ausgegangen und wir hatten einen bunten Würfel mit Notizzetteln auf die Hälfte reduziert. Ich versuchte, die unzähligen bunten Quadrate in vier mehr oder weniger lesbaren Handschriften sinnvoll zu ordnen.
Brot, frische, Lebensmittel, Fleisch, regional!, Bier, Obst, Waschmittel, Brötchen, Post!, Änderungsschneiderei?!, Dorf-Café!! (Treffpunkt), Bank?? (Automat?), Bio!, Blumen, keine Schreibwaren, Drogerie (wenig), Lotto, Reinigung, Kuchen, Snacks, Mittagessen?, Kinder als Zielgruppe, Alkohol???, Lieferanten machen Werbung.
Mit ‚Öffnungszeiten‘ begann ich einen neuen Stapel. ‚Pendler‘ kam gleich daneben, denn wir wollten auch für die Pendler ein Angebot haben, bevor sie sich in der Stadt eine Alternative suchten. Hier hatte ich die ersten Falten auf der Stirn, denn mit einem Angebot für Pendler würden wir in den Randstunden öffnen müssen. Dann kam ‚Lieferanten (regional)‘, ‚Netzwerk‘, ‚Presse‘, ‚Internet‘.
Wir hatten viele doppelte Zettel und natürlich das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Den Zettel ‚barrierefrei‘ hatte ich mit meinem Spültuch getrocknet und legte ihn dazu. Das war auch für meine Eltern ein Thema. Jemand hatte auch einen Zettel ‚Schlüpfer‘ geschrieben, das sah aus wie Jans Handschrift. Das musste schon spät am Abend gewesen sein. Ich dachte wieder an meine Eltern und legte ihn neben den Zettel ‚Reinigungsannahme‘.
Bei der Verabschiedung gestern Abend konnten wir alle den Dorfladen Tüwkow schon sehen, aber natürlich sahen wir ihn alle etwas anders.
Sofort hatten wir uns auf den ehemaligen Konsum als Standort geeinigt. Petra meinte „Wenn dort schon mal ein Laden gewesen ist, dann kann es ja nicht so schwer sein, dort wieder einen aufzumachen.“ Ihr Pferdeschwanz wippte bekräftigend dabei. Und das war der einzige Standort, der uns überhaupt eingefallen war. Die Gemeinde hatte keine anderen Grundstücke im Dorf, die in Frage kamen. Das Kulturhaus war gleich nach der Wende wegen Baufälligkeit abgerissen worden.
Und dann war da noch der Zettel ‚Verein gründen (Mike)‘. Wie war nur mein Name darauf gekommen? Meine Handschrift war das nicht.
Unter den vielen Zetteln brummte mein Handy. Einige Zettel fielen auf den Boden, dann hatte ich es am Ohr. Es war Jan und mein Tag begann schlecht.
„Morgen Mike. Meine Süße hat gehört, dass der Bürgermeister in der letzten Gemeinderatssitzung vom Verkauf des Konsums gesprochen hat. Jemand will das Gebäude abreißen und dort ein Wohnhaus mit Werkstatt bauen. Ein Jansen oder Janßen oder so. Die Abrissgenehmigung ist Teil seines Kaufvertrages, sagt sie, und unser Bürgermeister ist schon in Verhandlungen.“
…wie es weiter geht, erfahren Sie nächsten Freitag!
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